Wulf Kirsten, der am 14. Dezember 2022 in Weimar starb, war ein poeta doctus. Seine Gedichte suchen immer wieder einen Echoraum bei älteren und jüngeren Dichtern, mit denen er sich mit ihren Texten und Theorien in fiktive Gespräche eingelassen hat. Beim Lesen seiner Reden und Aufsätze ist des Staunens über seine Kenntnis vergessener Dichter kein Ende.
Als Weimarer begegnet er Johann Gottfried Herder nicht nur im lebensgroßen Denkmal vor der Stadtkirche, wo sich auch dessen Grab befindet. Herders und Karoline Herders Garten hinter dem Pfarrhaus hatte es ihm angetan; „Herders Garten“ ist ein eigenes Gedicht gewidmet. Zitierte Briefstellen belegen, dass er Herders Briefe und seine Werke gelesen hat. Für Kirsten war Herder ein lebendiger Mitbürger.
In den unter dem Titel „Textur“ gesammelten Arbeiten hat Kirsten häufig einen Blick in seine dichterische Werkstatt gewährt. Nach einem Benn-Zitat über das Kombinatorische im Dichten heißt es :
Wie ein Musikstück beginnt auch das Gedicht mit einem schwerwiegenden Einsatz, mit dem man sich festlegt. Denn er bestimmt den Ablauf des Gedichts. Der einmal eingeschlagene Grundakkord fordert gebieterisch die Weiterführung. Nur wenn dies eingehalten wird, läßt sich innere Stimmigkeit erreichen. Plötzlich, mitten in der Arbeit, scheint es, als begänne Sprache selbsttätig zu agieren, wenn nicht gar zu dirigieren und zu regieren.“ Was er als Gedicht anerkenne, lasse sich sehr wohl aus einem Prosasatz entwickeln, „den es anzuheben gilt…
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